Viele Eltern zucken erst einmal zusammen, wenn sie das Wort „Sexualpädagogik“ hören. Vor allem, wenn es um die Kita geht. Schnell tauchen Bilder im Kopf auf, die dort nicht hingehören. Manche denken an unangemessene Inhalte oder gar an eine „Frühsexualisierung“. Doch all das hat nichts mit dem zu tun, was Fachleute meinen, wenn sie von kindlicher Sexualität sprechen. Es geht nicht um Sex. Es geht um Kinder. Und es geht um ihre Entwicklung, um ihre Fragen, um ihre Neugier – und darum, sie zu schützen und zu stärken. In diesem Artikel möchte ich erklären, warum es wichtig ist, in der Kita offen mit dem Thema umzugehen, warum das gar nichts mit „Sexualisierung“ zu tun hat und warum die Angst davor oft aus Unwissen entsteht.
Kinder entdecken die Welt mit ihren Sinnen. Das bedeutet: Sie sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken. Sie fassen Dinge an, kuscheln mit anderen, nehmen sich gegenseitig wahr. Schon Babys berühren sich selbst. Kleinkinder zeigen gern ihren Bauch, ihre Hände, ihre Füße. Sie lachen, wenn sie nackt durch den Garten rennen dürfen. Wenn sie dann in die Kita kommen, entdecken sie, dass andere Kinder vielleicht anders aussehen. Ein Junge wundert sich, dass ein Mädchen beim Pipi-Machen nicht steht. Ein Mädchen stellt fest, dass ein anderes Kind zwei Mamas hat. Solche Fragen sind kein Problem, sondern ein Zeichen dafür, dass das Kind wach und neugierig ist. Diese kindliche Neugier nennt man in der Fachsprache „kindliche Sexualität“. Das bedeutet nicht, dass Kinder Sexualität so erleben wie Erwachsene. Es geht um etwas ganz anderes. Kinder haben kein sexuelles Begehren, also keinen Wunsch nach körperlicher Vereinigung. Kinder sind neugierig auf ihren Körper und auf den Körper anderer. Sie wollen verstehen, wie Babys entstehen, warum es Unterschiede zwischen Menschen gibt und was es bedeutet, wenn man sich zärtlich mag.
In der Kita heißt das: Kinder fragen, reden, spielen. Manche spielen zum Beispiel Arzt und Patient. Das nennt man „Doktorspiele“. Dabei schauen sie sich manchmal auch gegenseitig an oder untersuchen sich. Solche Spiele sind normal. Sie zeigen, dass Kinder sich mit dem eigenen Körper und mit Nähe beschäftigen. Wichtig ist, dass diese Spiele freiwillig sind. Wenn ein Kind bei so einem Spiel nicht mitmachen will, darf es Nein sagen. Und wenn es sich unwohl fühlt, muss es sich sicher sein können, dass ein Erwachsener da ist, der zuhört und eingreift. Genau dafür brauchen Kitas eine gute sexualpädagogische Arbeit. Sexualpädagogik ist ein zusammengesetztes Wort. „Sexual“ bedeutet in diesem Zusammenhang alles, was mit dem eigenen Körper, den Gefühlen, dem Geschlecht und mit Nähe zu tun hat. „Pädagogik“ ist das Fachwort für die Begleitung und Erziehung von Kindern. Sexualpädagogik heißt also: Kinder gut zu begleiten, wenn sie Fragen zum Körper haben, wenn sie Gefühle zeigen, wenn sie etwas wissen wollen über Geburt, Liebe, Unterschiede zwischen Menschen oder auch darüber, was erlaubt ist und was nicht.
In Hamburg ist diese Arbeit gesetzlich vorgeschrieben. Die sogenannten Bildungsleitlinien geben den Kitas vor, dass Kinder zu selbstbewussten, starken Persönlichkeiten erzogen werden sollen. Sie sollen ihren Körper kennen, ihre Gefühle zeigen dürfen und Grenzen erkennen. Grenzen sind die Stellen, an denen etwas aufhört. Zum Beispiel: Wenn ein Kind sagt „Ich will das nicht“, dann ist das eine Grenze. Diese Grenze muss geachtet werden. Das nennt man dann „Grenzwahrung“. Ein weiteres Ziel der sexualpädagogischen Arbeit ist der Schutz. Kinder, die ihren Körper kennen und wissen, dass niemand sie gegen ihren Willen anfassen darf, sind besser geschützt vor Gewalt. Wenn ein Kind weiß, dass niemand unter den Rock oder in die Hose fassen darf, und wenn es gelernt hat, dass es laut Nein sagen darf, dann ist das ein großer Schutz. Denn leider gibt es Menschen, die Kindern wehtun. Eine gute sexualpädagogische Arbeit kann helfen, solche Taten zu verhindern. Und wenn doch etwas passiert, kann ein gut aufgeklärtes Kind besser erzählen, was war.
In vielen Hamburger Kitas ist das schon Alltag. Es gibt Bücher, in denen Kinder sehen, wie ein Baby im Bauch wächst. Es gibt Bilderbücher, in denen gezeigt wird, dass nicht alle Familien gleich aussehen. In manchen Familien gibt es Mama und Papa. In anderen nur eine Mama. Manche Kinder haben zwei Papas. Oder leben bei den Großeltern. Oder in einer Pflegefamilie. Es gibt auch Bücher, die zeigen, dass manche Kinder sich nicht wie ein Junge oder wie ein Mädchen fühlen. Ein Kind kann biologisch ein Junge sein, aber sagen: Ich bin ein Mädchen. Oder umgekehrt. Das nennt man „Transidentität“. Es ist wichtig, dass Kinder sehen, dass Vielfalt normal ist. Vielfalt ist ein anderes Wort für „Unterschiedlichkeit“. Es bedeutet: Nicht alle Menschen sind gleich. Und das ist gut so.
Ein wichtiger Teil dieser Arbeit ist auch das Gespräch. Wenn Kinder fragen, woher Babys kommen, dann sollten sie eine Antwort bekommen. Natürlich eine kindgerechte. Es reicht zu sagen: Ein Baby wächst im Bauch der Mutter und kommt durch die Scheide oder mit Hilfe eines Arztes auf die Welt. Manche Babys kommen auch mit einem sogenannten Kaiserschnitt. Das ist eine Operation, bei der der Bauch der Mutter geöffnet wird. Es geht nicht darum, Kindern Details zu erklären, sondern darum, ehrlich zu sein und ihre Fragen ernst zu nehmen. Es ist nicht schlimm, wenn Kinder Wörter wie Penis oder Scheide lernen. Im Gegenteil: Wenn ein Kind klar sagen kann, wo es angefasst wurde, ist das ein Schutz. Wenn ein Kind stattdessen sagt „Da unten“ oder „mein Pipiteil“, dann kann es sein, dass niemand richtig versteht, was gemeint ist.
Auch das Thema Gefühle gehört dazu. Kinder erleben Liebe, Freundschaft, Zuneigung. Sie halten sich an der Hand, kuscheln, geben sich Küsschen. Das ist wichtig und schön. Es zeigt, dass Kinder sich mögen und sich wohlfühlen. Auch hier gilt: Alles muss freiwillig sein. Ein Kind darf Nähe anbieten, aber es darf auch Abstand wünschen. Und es darf jederzeit sagen: Ich möchte das nicht. Die Erwachsenen in der Kita begleiten das. Sie beobachten, sie sprechen mit den Kindern, sie geben Sicherheit. Es geht nie darum, etwas zu fördern, was Kinder gar nicht wollen. Es geht darum, den Raum zu geben für ihre Fragen und ihre Entwicklung.
Manche Eltern haben Sorgen. Sie fragen sich: Muss mein Kind das alles jetzt schon wissen? Ist das nicht zu früh? Verliert es seine Unschuld? Die Antwort ist: Nein. Ein Kind verliert nicht seine Unschuld, wenn es lernt, dass es einen Körper hat, dass es Gefühle hat, dass es anders sein darf als andere und dass es Grenzen setzen darf. Im Gegenteil: Ein Kind, das diese Dinge früh lernt, wird stark. Es kann sich schützen. Es kann besser mit anderen umgehen. Und es wird auch als Erwachsener mit seinem Körper und mit Nähe besser klarkommen. Es gibt Eltern, die haben selbst nie gelernt, über diese Themen offen zu sprechen. Vielleicht war das Thema bei ihnen zu Hause ein Tabu. Tabu ist ein Wort für: Darüber spricht man nicht. Dann ist es ganz normal, wenn sich Erwachsene erst unsicher fühlen. Deshalb ist es wichtig, dass Kitas mit Eltern im Gespräch bleiben. Es gibt Elternabende, es gibt Broschüren, es gibt Fachleute, die beraten. Niemand muss allein bleiben mit seinen Fragen oder Ängsten.
Auch für die Erzieherinnen und Erzieher ist das Thema nicht immer leicht. Sie haben gelernt, Kinder zu begleiten, aber auch sie bringen eigene Erfahrungen mit. In Hamburg gibt es Fortbildungen, also spezielle Schulungen, in denen sie lernen, wie sie mit kindlicher Sexualität umgehen. Sie bekommen Tipps, wie sie reagieren können, wenn Kinder Fragen stellen oder Spiele machen. Sie lernen, wie sie mit Eltern sprechen und wie sie Situationen einschätzen. Wichtig ist, dass sie sich sicher fühlen und wissen, was erlaubt ist und was nicht. In Hamburg wird das durch viele Träger unterstützt. Träger sind die Organisationen, die eine Kita betreiben. Das können städtische Träger sein, wie zum Beispiel die Elbkinder. Oder kirchliche Träger wie die Diakonie oder das Erzbistum. Oder freie Träger wie Vereine. Viele dieser Träger haben klare Konzepte, wie sie mit dem Thema umgehen. Sie sagen ganz deutlich: Wir stehen hinter einer kindgerechten, schützenden und offenen Sexualpädagogik.
Es gibt auch Menschen, die dagegen sind. Manche glauben, dass Kinder „umprogrammiert“ würden, dass man ihnen „Gender-Ideologie“ beibringen wolle. Gender ist ein englisches Wort für soziales Geschlecht. Es beschreibt, wie sich jemand fühlt – also ob sich jemand als Junge, Mädchen oder etwas dazwischen fühlt. Gender-Ideologie ist ein Kampfbegriff, also ein Wort, das verwendet wird, um andere schlechtzumachen. In Wahrheit geht es in der Kita nicht darum, Kinder umzuerziehen. Es geht darum, sie ernst zu nehmen. Ein Kind, das spürt: Ich bin anders, soll nicht ausgelacht werden. Es soll sich wohlfühlen dürfen. Und alle Kinder sollen wissen, dass sie genau so richtig sind, wie sie sind.
Die meisten Hamburger Kitas arbeiten längst so. Sie tun das ruhig, wertschätzend und mit viel Feingefühl. Es geht nie darum, Kinder in eine bestimmte Richtung zu drängen. Es geht darum, dass sie sich selbst kennenlernen dürfen. Dass sie wissen: Mein Körper gehört mir. Dass sie sagen dürfen, was ihnen gefällt oder was ihnen Angst macht. Und dass sie erleben: In meiner Kita darf ich Fragen stellen, darf ich spielen, darf ich lachen, darf ich auch mal still sein – und ich bin trotzdem genau richtig.
Wenn wir Kinder zu selbstbewussten, offenen und achtsamen Menschen erziehen wollen, dann müssen wir mit ihnen über ihren Körper sprechen. Wir müssen ihnen beibringen, dass Nähe schön ist, aber Grenzen wichtig sind. Und wir müssen ihnen zeigen, dass Vielfalt nicht gefährlich ist, sondern eine Stärke. Kinder lernen das am besten, wenn wir Erwachsenen sie dabei begleiten. Nicht mit Angst. Sondern mit Vertrauen, mit Offenheit und mit ganz viel Respekt. Und genau das ist der Kern einer guten sexualpädagogischen Arbeit in der Kita.
