Manchmal schreiben große Firmen eine Stellenanzeige. Darin steht, dass sie jemanden suchen, der Barrierefreiheit machen soll. Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit Behinderung Webseiten, Apps oder Geräte genauso gut benutzen können wie alle anderen. Es geht darum, dass niemand ausgeschlossen wird. Dass jeder klicken, hören, sehen und verstehen kann, was auf dem Bildschirm passiert – egal ob jemand blind ist, nicht gut sehen oder hören kann oder geistige Einschränkungen hat. Für so eine wichtige Aufgabe braucht es Zeit, Wissen und ein gutes Team. Aber was ist, wenn eine Firma so tut, als könnte das eine einzige Person in sechs Monaten alleine schaffen? Dann ist das keine echte Aufgabe, sondern eine Falle.
Genau so eine Falle gab es bei JD Sports. Das ist ein großes Unternehmen aus Großbritannien. Sie verkaufen Sportkleidung und Turnschuhe in ganz Europa. Und sie haben gemerkt: Bald müssen sie sich an ein neues Gesetz halten. Das Gesetz heißt Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit. Das bedeutet: In Europa dürfen Webseiten, Apps und andere digitale Angebote nicht mehr Menschen ausschließen, nur weil diese eine Behinderung haben. Die Firmen müssen ihre Technik so bauen, dass alle mitmachen können.
Aber JD Sports hat dieses Gesetz wohl lange ignoriert. Jetzt, zwei Wochen vor der Frist, schreiben sie plötzlich eine Stelle aus: „UX Accessibility Spezialist“. UX bedeutet Nutzer-Erfahrung. Accessibility bedeutet Barrierefreiheit. Spezialist bedeutet Fachmann oder Fachfrau. Sie suchen also eine Person, die alles weiß über Barrierefreiheit und das jetzt ganz schnell richten soll.
In der Anzeige steht, dass der Job nur sechs Monate dauert. Vielleicht gibt es danach noch einen Vertrag, vielleicht nicht. Für eine Firma, die Milliarden verdient, klingt das nicht nach einem echten Plan. Sondern nach einem Pflaster auf eine blutende Wunde. Es ist, als würde jemand sagen: „Hilf uns bitte dabei, 25 Jahre Fehler in sechs Monaten zu reparieren. Und dann tschüss.“
Barrierefreiheit ist aber kein Zaubertrick. Und wer in einer Firma neu anfängt, braucht erstmal Wochen, um sich einzuarbeiten. Man muss verstehen, wie die Firma arbeitet, wer dort was entscheidet, wie die Technik aufgebaut ist und wer alles mitreden darf. Und wenn eine Firma mehrere Marken hat, wie JD Sports, dann muss man das alles bei jeder einzelnen Marke machen. JD Sports gehört nicht nur JD Sports selbst. Sie haben noch viele andere Firmen dabei: Go Outdoors, Millets, Footpatrol, und noch viele mehr. Jede dieser Marken hat eigene Webseiten, eigene Apps, eigene Mitarbeiter, eigene Chefs. Wenn man für jede einzelne Marke Barrierefreiheit planen soll, dann reicht nicht mal ein Jahr. Dafür bräuchte man mehrere Leute und mehrere Jahre.
Aber die Firma will nicht nur, dass man einen Plan macht. Die Person soll auch gleich prüfen, ob alle Webseiten und Apps barrierefrei sind. Dafür gibt es feste Regeln, die heißen WCAG und EN 301 549. WCAG ist eine Sammlung von Regeln, damit Webseiten auch für Menschen mit Behinderung gut funktionieren. EN 301 549 ist ein europäischer Standard. Diese Regeln muss man genau verstehen, um sie anzuwenden. Und weil JD Sports ihre Angebote in vielen Sprachen macht, muss jede Sprache extra geprüft werden. Bei Barrierefreiheit geht es nämlich auch um Sprache. Wenn zum Beispiel eine Menü-Schaltfläche in Englisch bleibt, obwohl die Seite auf Deutsch ist, dann ist das ein Fehler. Blinde Menschen, die mit einem Vorleseprogramm arbeiten, hören dann etwas, das sie nicht verstehen. Solche Fehler passieren sehr oft. Und man muss sie für jede Sprache und jede Webseite extra suchen, dokumentieren, beheben und wieder testen.
Aber damit nicht genug. Die Person soll auch Berichte schreiben. Sie soll erklären, wo die Fehler sind, wie man sie löst, und alle Änderungen aufschreiben. Sie soll mit den Technik-Teams reden, die Webseiten programmieren. Sie soll helfen, dass die Fehler wirklich behoben werden. Dafür muss sie wissen, wie HTML, CSS und JavaScript funktionieren. Das sind die Sprachen, mit denen Webseiten gebaut werden. Wenn man diese Sprachen nicht versteht, kann man keine echten Tipps geben. Dann bleibt es bei schönen Worten – aber nichts verändert sich.
Und wenn das alles erledigt ist, dann soll die Person auch noch Schulungen machen. Sie soll alle Mitarbeiter der Firma über Barrierefreiheit aufklären. Sie soll Workshops geben. Ein Workshop ist ein Treffen, bei dem man gemeinsam etwas lernt und übt. Aber Workshops dauern lange und müssen oft wiederholt werden. JD Sports hat rund 60.000 Mitarbeiter. Selbst wenn nur 600 von ihnen direkt mit Webseiten oder Apps arbeiten, braucht man Monate, um sie alle zu schulen. Und das geht nicht alleine. Und schon gar nicht in sechs Monaten, wenn man gleichzeitig noch Prüfungen machen, Berichte schreiben und Strategien entwickeln soll.
Dann gibt es noch den Wunsch nach einem Kulturwandel. Die Firma möchte, dass Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht wird. Das nennt man „Shift Left“. Also nicht erst am Ende prüfen, ob etwas barrierefrei ist, sondern schon bei der Planung. Das ist eine sehr gute Idee. Aber dafür muss man die Arbeitsweise der Firma ändern. Man muss den Menschen beibringen, wie sie von Anfang an richtig gestalten. Man muss ihnen zeigen, wie sie ihre Entwürfe beschriften, worauf sie achten sollen und wie sie auch Menschen mit Behinderung mit einbeziehen können. So ein Wandel dauert lange. Es braucht Geduld, Vertrauen und viele Gespräche. Und man muss die alten Werkzeuge ändern, wenn sie nicht barrierefrei sind.
Und dann ist da noch ein Problem: Die Anzeige sagt nicht, wie viel Geld man verdienen wĂĽrde. Wenn eine Firma das nicht sagt, dann ist das oft ein schlechtes Zeichen. Dann will sie wahrscheinlich nicht gut bezahlen. Und das ist unfair. Denn wer so viel wissen und so viel arbeiten soll, verdient auch eine faire Bezahlung.
Das alles zeigt: Die Stelle bei JD Sports ist keine echte Chance. Sie ist eine Falle. Die Firma hat Barrierefreiheit lange nicht ernst genommen. Jetzt, wo das Gesetz kommt, wollen sie schnell jemand finden, der den ganzen Dreck wegmacht. Aber nicht, weil sie Barrierefreiheit gut finden. Sondern weil sie müssen. Die Firma sucht nicht wirklich Hilfe. Sie sucht ein Wunder. Aber Menschen sind keine Zauberer. Und auch keine Einhörner.
Barrierefreiheit ist wichtig. Sie schĂĽtzt Menschen vor Ausgrenzung. Aber sie darf nicht auf dem RĂĽcken einzelner gemacht werden. Wer Barrierefreiheit ernst nimmt, muss Geld investieren. Muss Zeit geben. Muss Menschen einstellen, die gemeinsam daran arbeiten. Und nicht jemanden fĂĽr sechs Monate holen, der am Ende alleine dasteht und vielleicht sogar die Schuld bekommt, wenn alles scheitert.
Wenn du also Barrierefreiheit machst und so eine Anzeige siehst, dann sei vorsichtig. Frag dich: Werde ich hier ernst genommen? Oder soll ich nur das Problem lösen, das andere jahrelang ignoriert haben?
Barrierefreiheit ist kein Zaubertrick. Sie ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte brauchen Menschen, die fair behandelt werden. Nicht in sechs Monaten verheizt.
Quellen:
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https://www.craigabbott.co.uk/blog/mission-impossible-accessibility-job-roles/
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Analyse des JD Sports Jobangebots (Originaltext englisch)
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Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
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Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit (EAA)
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EN 301 549 Standard
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Financial Times: JD Sports Geschäftszahlen
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Persönliche Haltung und Bewertung durch Florian Lancker