Was hat die Industrie mit Populismus zu tun?

Eine neue Studie hilft uns, besser zu verstehen, warum Menschen die AfD oder Die Linke wählen

In Deutschland verändert sich seit vielen Jahren viel. Besonders die Arbeit hat sich verändert. Früher arbeiteten viele Menschen in Fabriken. Sie stellten Autos her, Maschinen, Kleidung, Stahl oder Schiffe. Heute gibt es viel weniger Fabriken. Roboter machen mehr Arbeit. Oder die Firmen produzieren in anderen Ländern, weil dort die Löhne niedriger sind. Das nennt man „Deindustrialisierung“. Das ist ein schwieriges Wort. Es bedeutet: Immer weniger Menschen arbeiten in der Industrie, also in Fabriken.

Viele sagen: Wenn eine Region keine Fabriken mehr hat, fühlen sich die Menschen abgehängt. Sie sind traurig, wütend oder haben Angst. Und dann wählen sie Parteien, die gegen „die da oben“ sind. Solche Parteien nennt man „populistisch“. Die AfD ist eine rechtspopulistische Partei. Sie ist gegen Geflüchtete, gegen Europa und will vieles rückgängig machen. Die Linke ist eine linkspopulistische Partei. Sie will, dass reiche Menschen mehr Steuern zahlen und arme Menschen mehr Unterstützung bekommen.

Doch stimmt das überhaupt? Wählen Menschen wirklich die AfD, wenn sie ihre Arbeit verloren haben? Oder ist es komplizierter?

Genau das haben drei Forscherinnen und Forscher untersucht. Die Studie heißt:
„Industriebeschäftigung und Populismus in Deutschland – Untersuchung der Auswirkungen des tatsächlichen und drohenden Niedergangs“

Was haben die Forscher gemacht?

Sie haben sich alle 400 Landkreise und Städte in Deutschland angeschaut. Für jede Region haben sie zwei Dinge berechnet:

  1. Wie viele Menschen dort im Jahr 1970 in der Industrie gearbeitet haben.

  2. Wie viele Industrie-Arbeitsplätze dort bis zum Jahr 2021 verschwunden sind.

Außerdem haben sie geschaut, wie viele Menschen bei der Bundestagswahl 2021 die AfD oder Die Linke gewählt haben. So konnten sie untersuchen, ob es einen Zusammenhang gibt. Also: Ob es einen Unterschied macht, wie viele Fabriken früher da waren oder wie viele verschwunden sind.

Zusätzlich haben sie mit Umfragen gearbeitet. Das bedeutet: Sie haben Menschen gefragt, welche Partei ihnen gefällt, ob sie Arbeit haben und ob sie Angst haben, dass ein Roboter ihren Job übernehmen könnte. So konnten sie auch schauen, wie Menschen persönlich über die Lage denken.

Was wurde herausgefunden?

Die Forscher haben etwas sehr Spannendes entdeckt:

1. Die AfD wird nicht dort gewählt, wo die Industrie schon verschwunden ist.

Stattdessen wird sie dort gewählt, wo es noch viele Industrie-Arbeitsplätze gibt, die aber in Gefahr sind. Zum Beispiel durch Roboter oder durch neue Regeln zum Klimaschutz. Die Menschen dort haben Angst, ihre Arbeit bald zu verlieren. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt. Sie sagen: „Früher war unsere Arbeit wichtig. Heute interessiert sich niemand mehr für uns.“ Diese Angst nennt man Statusangst. Das ist, wenn man das Gefühl hat: „Ich falle bald tief, auch wenn es mir jetzt noch gut geht.“

2. Die Linke wird dort gewählt, wo die Industrie schon weg ist.

Also in Gegenden, wo viele Menschen tatsächlich ihre Arbeit verloren haben. Dort ist oft mehr Armut, mehr Arbeitslosigkeit, schlechtere Busverbindungen, geschlossene Schwimmbäder und weniger Hoffnung. Die Menschen dort fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Sie wählen Die Linke, weil sie sich mehr Hilfe vom Staat wünschen. Zum Beispiel höhere Löhne, mehr Unterstützung bei Miete und Heizung oder besseren Schutz vor Armut.

3. Wer wirklich arbeitslos ist, wählt nicht automatisch Die Linke.

Und wer in der Industrie arbeitet, wählt nicht automatisch die AfD.
Aber: Die Stimmung in der Region ist wichtig. Wenn viele Menschen im Ort ihre Arbeit verloren haben, wählen auch andere eher Die Linke – selbst wenn sie selbst noch Arbeit haben. Und wenn viele Menschen Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, wählen auch andere eher die AfD – selbst wenn sie selbst keine Angst haben.

Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass nicht jeder, der Die Linke oder die AfD wählt, „verzweifelt“ ist oder „radikal“. Es bedeutet aber auch:
Die Umgebung beeinflusst uns.
Wenn um uns herum Menschen arbeitslos werden, wenn Läden schließen, Busse nicht mehr fahren, Schulen kaputt sind – dann spüren wir das. Dann verändert sich unser Denken. Dann sehen wir keine Hoffnung mehr. Und wenn dann eine Partei laut ruft „Wir kümmern uns!“ – dann hören wir zu.

Die AfD redet besonders viel über „früher war alles besser“. Das spricht viele Menschen an, die das Gefühl haben, sie hätten früher mehr Anerkennung bekommen. Die Linke verspricht, mehr Geld in ärmere Gegenden zu bringen. Das spricht Menschen an, die sich vom Staat vergessen fühlen.

Was lernen wir daraus?

Wir lernen, dass Populismus nicht nur eine Frage von Armut ist.
Manche Menschen wählen populistisch, weil sie arm sind.
Andere, weil sie Angst haben, arm zu werden.
Wieder andere, weil sie sehen, dass ihr Ort sich verändert – zum Schlechteren.

Und:
Nicht nur die eigene Lage ist wichtig, sondern auch das, was wir in der Umgebung erleben.

Das bedeutet: Wenn wir verstehen wollen, warum Menschen die AfD oder Die Linke wählen, dann müssen wir genau hinschauen. Nicht verurteilen. Nicht alles in einen Topf werfen. Sondern: verstehen.

Was heißt das für die Politik?

Viele Politiker sagen: „Wir müssen die AfD bekämpfen.“
Aber sie verstehen oft nicht, wo die Wut herkommt.
Die Studie zeigt: Die Wut kommt nicht nur aus den kaputten Regionen,
sondern aus den Regionen, die Angst haben, als Nächstes kaputt zu gehen.

Das ist wichtig. Denn dort kann man noch handeln.
Dort kann man den Menschen Zukunft zeigen, Sicherheit geben, Hoffnung schaffen.
Bevor sie aus Wut oder Angst Parteien wählen, die gegen unsere Demokratie arbeiten.

Gleichzeitig dürfen wir die Orte, wo schon viel verloren ist, nicht vergessen.
Dort brauchen die Menschen soziale Unterstützung, Respekt, und eine ehrliche Politik, die zuhört und nicht nur redet.

Meine Einordnung als Demokrat, Antifaschist und Kita-Pädagoge

Diese Studie zeigt sehr deutlich:
Die AfD ist keine Partei der Armen.
Sie ist eine Partei derer, die sich bedroht fühlen.
Und sie nutzt diese Angst schamlos aus.
Sie bietet keine Lösungen. Sie bietet nur Schuldige.

Die Linke dagegen bekommt dort Stimmen, wo Menschen wirklich in Not sind.
Sie steht für soziale Gerechtigkeit. Aber sie erreicht nur einen Teil der Menschen, weil viele nicht mehr an Politik glauben.

Deshalb sage ich:
Wir brauchen eine Politik, die den Menschen zuhört.
Nicht nur den Wirtschaftsverbänden.
Nicht nur den Lobbygruppen.
Sondern den Menschen, die morgens um fünf zur Schicht gehen.
Den Menschen, die keine Kita für ihr Kind finden.
Den Menschen, die Angst haben, morgen ohne Job dazustehen.

Die Studie ist ein Weckruf.
Nicht nur an die Parteien.
Sondern an uns alle.

Wenn wir nicht zuhören,
wenn wir nicht helfen,
wenn wir nicht erklären,
dann wird das laute Gebrüll der Populisten weiter zunehmen.

Aber wir können etwas tun.
Wir können verstehen.
Wir können aufklären.
Wir können bessere Politik machen.
Und wir können unsere Demokratie schützen – gegen alle, die sie zerstören wollen.

Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s11615-025-00606-w