Sicherheit für alle – Warum Trennung keine Lösung ist und wir echte Inklusion brauchen

Ich habe den Artikel der taz gelesen. Er heißt „Frauenwaggons im ÖPNV“ und kann unter diesem Link gelesen werden: https://taz.de/Frauenwaggons-im-OePNV/!6080841/. In diesem Artikel wird die Idee vorgestellt, dass es in Berlin und Hamburg eigene Waggons in Zügen geben soll. Diese Waggons sollen nur für Frauen und queere Menschen sein. Queere Menschen sind Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau sehen. Es geht um Menschen, die von der Gesellschaft oft benachteiligt oder bedroht werden. In dem Artikel wird die Idee unterstützt, solche eigenen Waggons einzuführen. Der Gedanke dahinter ist klar: Viele FLINTA-Personen, das heißt Frauen, Lesben, intergeschlechtliche Menschen, nicht-binäre Menschen, transgeschlechtliche Menschen und agender Personen, fühlen sich nicht sicher, wenn sie mit der Bahn fahren. Besonders abends und nachts. Es gibt viele Berichte über Belästigungen, Angriffe und sogar Vergewaltigungen. Diese Berichte sind erschütternd. Und es ist ein großes Versagen unserer Gesellschaft, dass wir diese Gefahr überhaupt zulassen. Jeder Mensch hat das Recht, sicher Bus und Bahn zu benutzen.

Aber so sehr ich den Wunsch nach Schutz verstehe, so sehr kann ich dem Vorschlag aus der taz nicht zustimmen. Denn eigene Waggons für bestimmte Gruppen sind keine Lösung, sie sind ein falscher Weg. Sie führen nicht zu mehr Freiheit. Sie führen zu mehr Trennung. Wenn wir beginnen, einzelne Gruppen aus der Gesellschaft herauszulösen und in eigene Bereiche zu stecken, dann bauen wir Mauern. Mauern, die Menschen trennen. Mauern, die sagen: „Du gehörst nicht hierher. Du brauchst einen Extra-Ort.“ Genau diese Haltung kennen wir aus der Geschichte. Und wir wissen, dass sie nie zu etwas Gutem geführt hat.

Wir können hier viel von der Behindertenbewegung lernen. Menschen mit Behinderung kämpfen seit vielen Jahrzehnten dafür, überall dabei zu sein. Sie wollen nicht eigene Schulen, eigene Sportplätze oder eigene Busse. Sie wollen dieselben Schulen, dieselben Sportplätze und dieselben Busse wie alle anderen Menschen. Sie wollen, dass die Gesellschaft sich anpasst, nicht sie selbst. Sie fordern Inklusion. Inklusion bedeutet: Alle Menschen gehören von Anfang an dazu. Niemand muss sich seinen Platz erst verdienen. Niemand muss sich zurückziehen oder verstecken. Das ist ein riesiger Unterschied. Und genau diese Haltung fehlt leider bei der Diskussion um die FLINTA-Waggons.

Ich verstehe den Schmerz und die Angst, die viele FLINTA-Personen empfinden. Wer einmal nachts alleine in einer fast leeren Bahn gesessen hat und sich gefürchtet hat, weiß, wie schlimm das ist. Wer erlebt hat, wie Blicke zu Bedrohungen werden, wie Worte zu Waffen werden, der weiß, dass es ein echtes Problem gibt. Aber wenn wir anfangen, eigene Räume zu schaffen, dann akzeptieren wir still, dass der Rest der Gesellschaft gefährlich bleibt. Dann sagen wir: „Hier ist der kleine sichere Ort für euch. Draußen müsst ihr aber weiterhin aufpassen.“ Das ist nicht die Gesellschaft, die ich mir wünsche. Ich will eine Gesellschaft, in der niemand Angst haben muss. Nirgendwo.

Wenn wir jetzt FLINTA-Waggons einführen, dann schützen wir nicht alle. Wir schützen nur die, die in diesen Waggons sitzen. Was ist mit den FLINTA-Personen, die keinen Zugang dazu haben? Was ist mit denen, die keine Lust haben, immer auf den richtigen Waggon zu warten? Was ist mit denen, die spontan die Bahn wechseln müssen? Sollen sie sich dann entscheiden müssen zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit? Das ist nicht fair. Und es ist nicht gerecht. Ein anderes Problem ist die Kontrolle. Wer kontrolliert die Waggons? Müssen dann Ausweise gezeigt werden? Muss jemand beweisen, dass er eine FLINTA-Person ist? Müssen sich Menschen outen, also öffentlich sagen, dass sie trans* oder nicht-binär sind? Das öffnet neue Türen für Diskriminierung. Anstatt Schutz zu schaffen, könnten wir so neue Gefahren erschaffen. Das kann nicht das Ziel sein.

In anderen Ländern gibt es bereits solche Waggons. In Tokio zum Beispiel oder in Neu-Delhi. Dort werden eigene Frauenwaggons eingesetzt, weil die Übergriffe extrem häufig sind. Aber auch dort zeigen Berichte, dass diese Waggons nicht verhindern, dass es außerhalb dieser Bereiche weiterhin gefährlich ist. Die Trennung verschiebt das Problem nur, sie löst es nicht. Und schlimmer noch: Sie macht das Thema Übergriffe zu einem Thema der Opfer. Nicht zu einem Thema der Täter. Das ist gefährlich.

Wir brauchen eine andere Antwort. Wenn eine Minderheit bedroht wird, dann muss die Mehrheit handeln. Nicht indem wir noch mehr Kameras aufhängen oder die Politik zu noch mehr.  Überwachung auffordern. Überwachung schützt nicht. Überwachung beobachtet nur. Es braucht echte Präsenz. Es braucht Menschen, die helfen können, bevor etwas passiert. Es braucht gut ausgebildetes Sicherheitspersonal in Bahnen und an Haltestellen. Aber nicht Sicherheitsdienste, die weggucken oder erst reagieren, wenn es zu spät ist. Sondern Personal, das deeskaliert, bevor etwas eskaliert. Personal, das sichtbar, ansprechbar und mutig ist. Personal, das klare Regeln setzt: Belästigungen, Übergriffe und Gewalt haben hier keinen Platz.

Ein gutes Beispiel ist Wien. Dort wurde die Zahl der Übergriffe in Bahnen und Bussen stark gesenkt, indem an vielen Stationen ständiges Sicherheitspersonal eingesetzt wurde. Die Menschen fühlen sich dort sicherer, weil sie wissen: Da ist jemand, der aufpasst. Da ist jemand, der sofort eingreift. Sicherheit entsteht durch Menschen. Nicht durch Kameras. Nicht durch Absperrbänder. Und nicht durch getrennte Räume.

Deshalb glaube ich: FLINTA sollte sich ein Vorbild an der Behindertenbewegung nehmen. Die Behindertenbewegung hat gezeigt, wie man eine Gesellschaft verändern kann, ohne sich selbst abzutrennen. Sie hat gezeigt, dass der Weg nicht über Sonderschulen, Sondersitze oder Sonderbereiche führt. Sondern über das Recht, überall dabei zu sein. Über die Verpflichtung der Gesellschaft, die Bedingungen so zu gestalten, dass niemand ausgegrenzt wird.

Die öffentliche Bahn gehört allen. Sie muss für alle sicher sein. Es darf keine Frage sein, ob jemand in den richtigen Waggon einsteigt. Es muss selbstverständlich sein, dass jeder Waggon sicher ist. Für FLINTA. Für Menschen mit Behinderungen. Für Kinder. Für alte Menschen. Für jeden Menschen, der einfach nur sein Leben leben will.

Ich widerspreche deshalb dem Vorschlag aus dem Artikel der taz. Ich widerspreche nicht aus Gleichgültigkeit. Sondern aus tiefem Respekt für die betroffenen Menschen. Weil ich glaube, dass sie mehr verdienen als rosa gestrichene Waggons. Sie verdienen eine Gesellschaft, die sie schützt, ohne sie auszusondern. Sie verdienen echte Inklusion. Echte Sicherheit. Echte Freiheit.

Und wir als Gesellschaft haben die Pflicht, genau das möglich zu machen. Nicht irgendwann. Nicht später. Sondern jetzt.